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Das Team von Luminosity Gaming schaltete auf seinem Weg in das Finale der DreamHack Winter gleich drei Titelanwärter aus, bevor sie schließlich gegen Fnatic in einem hart umkämpften Match verloren. Die Brasilianer erheben damit endgültig den Anspruch auf einen Platz in der Top-8 der Weltspitze. Die Art und Weise mag dabei überraschen. Dass es irgendwann so kommen musste - nicht unbedingt. Ein Blick auf die Entwicklung von Luminosity Gaming und die brasilianische Counter-Strike-Szene. Counter-Strike in Brasilien

Denkt man an die großen Nationen der Counter-Strike Geschichte, fällt einem wohl zuerst Schweden ein, dann Frankreich, Polen, Dänemark, die Ukraine und auch Deutschland. Brasilien in die engere Auswahl zu nehmen, käme dabei wohl nur Wenigen in den Sinn.

Tatsächlich ist Brasilien eines der Länder mit den meisten Counter-Strike Spielern überhaupt und befindet sich weltweit – gemeinsam mit Schweden – auf dem fünften Platz. Natürlich muss man die Zahlen relativ zur Einwohnerzahl sehen, dennoch ist das Counter-Strike Interesse in Brasilien traditionell sehr hoch, insbesondere auch im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern.

mibr gewinnt ESWC 2006 | Quelle: hltv.org

Historisch gesehen ist Brasilien außerdem eine sehr erfolgreiche Nation. 2006 gewann das Team Made in Brazil (mibr) mit Star-AWPler Raphael 'cogu' Camargo das Major-Turnier ESWC Paris, das mit 160.000$ Gesamtpreisgeld eines der höchstdotierten Events überhaupt in Counter-Strike 1.6 war. Ein Jahr später konnte man dann den Titel bei der zweiten Ausgabe der SGH-Open in Kopenhagen erringen und besiegte dabei die Polen von Pentagram im Finale. Gekrönt wurde das Jahr mit dem ersten Platz auf der DreamHack Winter 2007, auf der man das schwedische Lineup von SK Gaming im Finale ausschalten konnte. Zu dieser beeindruckenden Titelsammlung kommen noch einige weitere hohe Playoffplatzierungen auf großen europäischen Events. 2006 und 2007 waren die beiden Jahre mit den insgesamt höchsten Preisgeldern in Counter-Strike 1.6 und wann immer Made in Brazil in diesen Jahren in Europa mitspielte, konnten sie überzeugende Ergebnisse liefern und Topteams besiegen.

Im gesamtamerikanischen Vergleich braucht sich Brasilien außerdem nicht hinter den USA verstecken. 2008 gewann mibr die kontinentalen Meisterschaften auf den Intel-Extreme-Masters in Philadelphia. 2010 sicherte sich das brasilianische Lineup von compLexity die IEM New York, mit dem heutigen In-Game-Leader von Luminosity: Gabriel 'FalleN' Toledo. Im selben Jahr gewann CNB-Gaming die Kode5 Global Finals in Peru – ein mit 40.000$ Gesamtpreisgeld dotiertes Turnier. Zwar wurde das Preisgeld nie ausgezahlt, dennoch bleibt der sportliche Erfolg.

Auch in Counter-Strike: Global Offensive schlägt sich Brasilien gut im Nationenvergleich. Das brasilianische Team, welches heute unter dem Banner von Luminosity Gaming spielt, zog auf dem Major in Cluj-Napoca zum dritten Mal in Folge in die Top-8 ein. Damit haben sie genauso viele Playoffsplatzierungen inne, wie alle nordamerikanischen Teams zusammen. Das letzte NA-Team, welches die Gruppenphase überstehen konnte, war vor weit über einem Jahr Cloud9 auf der ESL One Cologne 2014.

Brasilien ist eine sportbegeisterte Nation und nicht nur im Fußball, sondern auch im E-Sport ist der Support der Fans beispiellos. Die E-Sportzentren des Landes sind die beiden Mega-Metropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro, wo tausende E-Sportbegeisterte regelmäßig Events wie z.B. die Brasil Mega Arena (ehemals XMA Mega Arena) besuchen. Seit letztem Jahr ist die Major-League-Gaming mit einem eigenen Franchise – MLG Brasil – in Südamerika vertreten. Auch die Electronic-Sports-League (ESL) bietet nationale Ligen in Brasilien.

Fernab des Rampenlichts

Trotz aller Erfolge und Platzierungen der Vergangenheit wurden gute Ergebnisse brasilianischer Teams immer als Überraschungen angesehen und werden es noch heute. Das liegt einerseits an der geographischen Lage Brasiliens. Ähnlich wie Australien, ist Brasilien isoliert von den Counter-Strike-Brennpunkten in den USA und vor allen Dingen Europa. Hinzu kommt, dass es in Brasilien nach dem Ende von Made in Brazil und dem CS-Ausstieg von CNB keine außerordentlich finanzstarke Organisation mehr gibt, die das Interesse der Öffentlichkeit auf sich ziehen kann. In Europa und den USA wird der brasilianische Szene einfach keine Beachtung geschenkt.

FalleN bei den MLG X-Games Aspen | Quelle: hltv.org

Als im Januar dieses Jahres das Team, welches wir heute als Luminosity Gaming kennen, unter dem Banner von KaBuM.TD einen Abstecher zu zwei Events in die USA machte, wusste niemand womit man es zu tun hatte. Insgesamt räumte man den „Neuen“ keine große Chancen ein, doch gleich das erste Match sollte ein Achtungserfolg werden. Mit 16:04 überrollte man Cloud9 – das damals beste NA-Team – auf den MLG X Games Aspen. KaBuM holte dabei auf de_mirage elf Terror-Runden und zeigte eine beeindruckende taktische Bandbreite, die der europäischer Topteams entsprach.

Keine Woche später traf KaBuM auf ein solches: Auf der Clutch Con 2015 spielten die Brasilianer gegen Fnatic ein Best-of-Three. Die erste Map war de_mirage, welche KaBuM wieder deutlich mit 16:07 gewann. Erneut startete man dabei auf T-Seite! Kurz darauf zeigte sich jedoch das große Problem: Der Mappool von KaBuM bestand im Wesentlichen nur aus ihrer Homemap de_mirage. Auf de_cache und de_overpass gewann Fnatic spielerisch mit 16:05 und 16:00. Auf kommenden Events hüteten sich die Gegner daraufhin de_mirage zu spielen, weshalb die weiteren Erfolge zunächst überschaubar blieben.

Die Games-Academy

Auch wenn sich das Können von KaBuM.TD zunächst nur auf eine Map beschränkte, sah man darauf all das, was die brasilianische Schule ausmacht: Das Team betrieb einen massiven Aufwand, arbeitete mit bis dato selten gesehenen Smoke-Gos, Fakes und Anti-Strats. Wie kein anderes Team zu jener Zeit setzten sie Molotovs ein und überraschten mit kreativen Setups. KaBuM konnte auf de_mirage nahezu alles. Zu diesem erlernbaren Wissen, bewiesen sämtliche Spieler ein bemerkenswertes intiutives taktisches Verhalten. Das Zusammenspiel der Spieler untereinander, sei es in Setups oder beim gegenseitige Supporten, war auf höchstem Niveau, was vor allen Dingen in 2vsX Clutchsituationen durchschien. Dieses taktische Verhalten gehört regelrecht zur DNA der brasilianischen Szene. Der Grund dafür ist eine Organisation, die im Zuge von Luminositys Erfolg auf der DreamHack Winter immer wieder genannt wurde: Die Games-Academy!

Gabriel 'FalleN' Toledo ist heute die Counter-Strike Legende Brasiliens. Nicht nur, weil er der aktuell kompletteste Spieler seines Landes ist, sondern vor allen Dingen, weil er durch die Gründung der Games-Academy maßgeblich für den anhaltenden Erfolg von Counter-Strike in Brasilien verantwortlich ist. Die Games-Academy startete zunächst als recht bescheidenes Projekt, in dem FalleN gegen Bezahlung Onlinekurse in Counter-Strike 1.6 anbot. Recht schnell sprach sich die Möglichkeit des Privatunterrichts bei einem der größten Spieler des Landes herum und mit der Teilnehmerzahl wuchs auch das Projekt. Die Einnahmen flossen dabei zurück in die Szene, indem damit Turniere und Events finanziert wurden, die Counter-Strike in Brasilien am Leben hielten. Heute ist die Games-Academy nicht nur eine Counter-Strike Schule mit über 1500 Teilnehmern, sondern als Portal mit News-, Liga- und Streaming-Bereich auch der Dreh- und Angelpunkt der brasilianischen Szene (mittlerweile auch in DotA 2 und League of Legends).

Für die Nachwuchsprofis und ambitionierten Spieler in Brasilien gehört es schon seit Jahren zum guten Ton ein Teil der Games-Academy zu sein. Auf diese Weise konnte wie in kaum einer anderen Nation die taktische Raffinesse aus Counter-Strike 1.6 konserviert und in Global Offensive übertragen werden.


Ein von VALVe produziertes Player Profile Video über FalleN

Das bestmögliche Lineup

Durch diesen „brasilianischen Stil“ und die Tatsache dass die meisten Profi-Spieler Brasiliens bereits in verschiedenen Konstellationen zusammengespielt haben, lässt sich erklären, warum Luminosity Gaming auf der DreamHack Winter derart überzeugen konnte, obwohl nur wenige Tage vor dem Event das halbe Team ausgetauscht wurde. Mit Epitacio 'TACO' de Melo und Lincoln 'fnx' Lau holte man sich zwei Spieler an Bord, die dafür sorgten, dass Luminosity nicht nur taktisch, sondern endlich auch in Sachen Feuerkraft mit der Weltspitze konkurrieren konnten. fnx ist zudem der wohl erfahrenste aktive brasilianische Spieler überhaupt. Bei den meisten großen Titeln Brasiliens in Counter-Strike, die zu Beginn des Artikels aufgezählt wurden, war fnx Teil des jeweiligen Lineups. Mit Wilton 'zews' Prado verpflichtete man außerdem einen Coach, der in Jönköping die Rollen des Co-Leaders und Motivators hervorragend in sich vereinte.

Nach dem Wechsel spielen die fünf aktuell besten brasilianischen Spieler für Luminosity Gaming. Die DreamHack Winter könnte dabei nur der Startschuss gewesen sein. Luminosity hat nun definitiv das Potenzial auch dauerhaft mit den Top-8 oder gar Top-5 der Welt zu konkurrieren. Im Gegensatz zu Cloud9, die nach ihrem kurzzeitigen Höhenflug im Sommer diesen Jahres, wieder auf ihrem alten Niveau angelangt sind, ist der Stil der Brasilianer deutlich definierter und weniger vom Studium der Gegner und dem Entwickeln von Anti-Strats abhängig. Dementsprechend wird es die Weltspitze schwerer haben, sich gegen die neuen Emporkömmlinge zu wehren. Bereits in einer Woche können sich die Brasilianer auf dem Finale der ESL ESEA Pro League Season #2 erneut beweisen, wir Zuschauer dürfen gespannt sein!

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