Keine Ära in 2022?
Ein Blick auf frühere CS:GO-Zeiten verrät, dass diese vor allem durch die kurzzeitig schier unbrechbare Dominanz bestimmter Teams geprägt waren. Zu ihren Hochzeiten schienen sie bei den Top-Events unschlagbar und räumten entsprechend Titel um Titel ab. NiP stellte die legendäre 87-0-LAN-Serie auf, Fnatic gewann einst mit dem legendären Lineup um olofmeister von Mitte 2014 bis Anfang 2016 ganze 17-S-Tier-Turniere und nicht zuletzt etablierte Astralis mit vier Major-Siegen, drei davon in Folge, die dominanteste Serie überhaupt.
Antizipierte Drachentöter gab es derweil immer, die es auf wundersame Weise schafften, den dominanten Teams erfolgreich die Stirn zu bieten. Dazu gehört das ehemalige Virtus.pro-Lineup um CS-Legende neo, das regelmäßig für überraschende Upsets und Turniersiege gut war. Auch das besagte Ninjas in Pyjamas entfaltete nach seiner dominanten Zeit hier und da etwas von der berühmten NiP-Magic und knüpfte an die glorreichen Zeiten an. Doch selten schien der CS:GO-E-Sport an einem Punkt angelangt zu sein, an dem in der Weltspitze jedes Team jedes schlagen konnte.
Ein Blick auf einige Zwischenergebnisse beim IEM Rio Major-Turnier spricht eine deutlich undeutliche Sprache. BIG schlägt FURIA und MOUZ. FURIA schlägt ENCE, BIG und später NAVI. NAVI schlägt Vitality und BNE. BNE eliminiert FAZE, das wohl erfolgreichste Team des Jahres. FaZe verliert zuvor auch gegen Cloud9, das wiederum NAVI und Heroic besiegt. C9 unterliegt dann aber MOUZ, die dann den Outsiders unterliegen, die wiederum zuvor gegen Heroic und auch MOUZ verloren. Die Outsiders selbst schaffen es erst Last Minute mit drei Siegen und zwei Niederlagen im RMR B zum IEM Rio Major, wo sie später das Top-Event gewannen.
Es ist eine konfuse Konstellation, wo der roten Faden für ein scheinbar durchweg starkes Team zu fehlen scheint. Der so schwer vorhersehbare Turnierverlauf spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Pickem-Challenge des IEM Rio Majors wider, in der scheinbar nur die allerwenigsten einen Diamant-Coin ergattern konnten. Den Turnierverlauf an der Copacabana sahen schlichtweg die wenigsten voraus.
Dabei spiegelt dies nicht zuletzt die Ereignisse im Jahr 2022 wider. FAZE, NAVI, BIG, C9, Vitality und die Outsiders haben in diesem Jahr eines gemeinsam: Den Gewinn eines nach Liquipedia als S-Tier gewerteten Turniers. Mit einem erweiterten Blick auf die A-Tier-Turniere wird jener Kreis noch um Teams wie ENCE, Heroic, Spirit, NiP und sogar die Movistar Riders erweitert. MOUZ konnte zwar keinen Turniergewinn verbuchen, kämpfte sich jedoch erstaunlich weit in der internationalen Spitze nach oben.
Einzig und allein FAZE sticht hier durch die Siege bei der IEM Katowice, Pro League Season 15, Major Antwerpen und IEM Cologne zumindest bis über die Jahreshalbzeit von 2022 heraus. Gleichzeitig erreichten Karrigan und Co. in einigen anderen Turnieren nicht einmal das Halbfinale, so etwa bei den IEM Dallas oder den BLAST Spring Finals. Tiefpunkt war das Verpassen der Playoffs des IEM Rio Major als erstes Team mit einem desaströsen 0:3-Rekord.
Viele verschiedene Turniergewinner, viele Upsets durch vermeintliche Underdogs und ein reger Wechsel in der HLTV-Weltrangliste. Auch die Tatsache, dass in beiden großen Best-Of-Five-Finals der zweiten Jahreshälfte vier verschiedene Teams standen und es in beiden Fällen über fünf spannende Maps ging, scheint dafür zu sprechen, dass die Spitze über das Jahr noch weiter zusammengerückt ist.
Es wäre jedoch kurzsichtig zu behaupten, es gäbe keine Favoriten mehr. Zweifelsfrei gab es bei allen Top-Turnieren gewisse Top-Anwärter, die auch meist weit im Turnier vorankamen, allen voran FaZe und NAVI. Stets mit hohen Erwartungen gesehen wurde Team Vitality um Superstar ZywOo oder Cloud9, das zumindest bei der IEM Dallas überzeugen. Gleiches gilt für NiP und G2 Esports, die im Jahr 2022 jedoch leer ausgehen. Hinzu kommen Faktoren wie BO1-Matches und unterschiedlich schwere Schedules.
Auch HObbit war einst mit Gambit Überraschungssieger des PGL Major Krakow 2017. Für ihn zeigen die Ergebnisse des IEM Rio Major, dass die internationale Spitze so eng beisammen ist wie noch nie. "Jedes Team kann jedes schlagen, besonders die Top-Ten-Teams. Sie sind die Favoriten, aber keine eindeutigen Favoriten", sagt der Cloud9-Captain gegenüber HLTV. Gehören die Zeiten der Ära-Teams also der Vergangenheit an?
Eure Meinung ist gefragt: Wie bewertet ihr die aktuelle Entwicklung im internationalen Top-Bereich?
Foto: ESL/Stephanie Lindgren
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