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Geposted von EddieCochran,
Michele 'zonixx' Köhler gehört zu den Pionieren der deutschen Counter-Strike-Szene. Im ausführlichen 99Damage-Porträt schauen wir zurück auf eine beeindruckende Karriere. Der erste Teil dreht sich unter anderem um die Anfänge in den Plattenbauten von Dortmund. Es war ein frühlingshafter Tag in Dortmund, Mitte der 1990er Jahre. Der Himmel war leicht bedeckt und etwas Dunst lag am Nachmittag auf dem Trainingsplatz von Eintracht Dortmund. Unweit der vielbefahrenen Ruhrallee kickten die Jugendlichen der Nachtwuchsmannschaft stilecht für die Region auf einem Ascheplatz. Von dort schwebten die Träume von der großen Karriere ins unweit entfernte Westfalenstadion.

Unter ihnen war der talentierte Mittelfeldspieler Michele Köhler. Doch an jenem Tag beendete ein Tritt in die Hacke alle Illusionen - die Achillessehne war gerissen. Danach lag der Eintracht-Youngster mit schmerzverzerrtem Gesicht im rötlichen Staub. Der Traum vom Fußballprofi war dahin und die lange Zeit der Reha war angebrochen. Kurz zuvor war eine Einladung von Borussia Dortmund zum Probetraining ins Haus geflattert: "Ein Mitspieler platzte vor Neid", sagt er. Was folgte, war das grobe Foul bei der Trainingseinheit.

Unendliche Stunden im stillen Kämmerlein



Nüchtern erzählt das der Mann aus dem Ruhrpott im Rückblick. Andere würden wohl heute noch vor Wut schäumen und darüber kaum ein Wort über die Lippen bringen. "Natürlich weiß keiner, ob es für höhere Aufgaben im Fußball gereicht hätte", sagt er. Aber die Chance darauf wurde dem talentierten Kicker zweifellos genommen. Nur gut, dass Michele Köhler nicht einseitig begabt durchs Leben schreiten muss. Statt zum Fußballstar wurde er zu einem bekannten deutschen E-Sport-Profi in der Disziplin Counter-Strike.



Als "zonixx" hatte der heute 30-Jährige es bis nach ganz oben geschafft. "Wir waren Weltklasse mit mousesports", sagt Michele Köhler. Der Weg dahin führte von unendlichen Stunden im stillen Kämmerlein über kleine und große LAN-Partys bis hin zu großen internationalen Turnieren. Mittlerweile ist der CS-Veteran vielfach tätig als Streamer und Unternehmer sowie ein gefragter TV-Experte, Kommentator und Coach. Manchen ist er auch bekannt als "der Don", was eine augenzwinkernde Reminiszenz an seine deutsch-italienische Wurzeln ist.

Zonixx richtet sein Headset bei den Finals der EPS Winter 2013. Foto: ESL



Der Blick geht wieder zurück in die Kindheit: "Ich hatte den Fußball verloren durch die schwere Verletzung, aber den Wettbewerb habe ich mit Counter-Strike wiedergewonnen", sagt zonixx. Sein fußballerisches Vorbild war der brasilianische Weltmeister Roberto Carlos. Der überragende Linksverteidiger war berühmt für seinen scharfen Schuss, mit dem er dem Ball einen unglaublichen Effet verleihen konnte und jedem Torhüter Albträume bereitete. Die Analogie zu Counter-Strike ist durchaus gegeben, nur dass CS-Spieler eben keinen Effet mit ihren virtuellen Waffen produzieren können.

Michele Köhler gehört zu den Pionieren der deutschen Counter-Strike- und E-Sport-Szene. Sein erster Login auf seinem ESL-Profil datiert vom Oktober 2004. Aber bereits im Jahr 2000 kam er im Alter von zehn Jahren in Berührung mit Counter-Strike. Nur ein Jahr zuvor erschien der First-Person Shooter als Mod von Half-Life. Es ist auch bei Michele die klassische Geschichte vom großen Bruder, die so viele CS-Profis in Interviews erzählen. In seinem Fall war es der fünf Jahre Ältere, der ihn auf das Spiel aufmerksam machte.

Alles in Counter-Strike investiert



Eigentlich war Michele zu diesem Zeitpunkt noch zu jung für das Spiel: "Ich habe meinen Bruder heimlich beim CS-Spielen beobachtet und auch heimlich auf meinem Rechner begonnen, zu spielen." Das Glück war, dass er bereits einen eigenen PC besessen hatte. Sein Vater war in der Computerbranche tätig und stattete seine Söhne mit eigenen Rechnern aus.

Nach der Verletzung an der Achillessehne hatte Michele viel Zeit, weil Fußball und Sport lange nicht mehr möglich waren. "Ich habe alle Zeit in Counter-Strike investiert." Gelitten habe darunter etwas die Schule, gesteht zonixx, denn der Monitor flimmerte stundenlang bis spät in die Nacht. Der Freundeskreis hingegen "fand das eher cool", obwohl er zwischenzeitlich das Etikett des "Nerds" verpasst bekam.

Ob Nerd oder nicht - seine Leidenschaft für Gaming war grenzenlos. "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben", besagt ein christliches Gebot. Zonixx' Epiphanie hieß Counter-Strike. "Sicher habe ich auch andere Spiele wie Warcraft 3 oder FIFA gespielt. Die Konzentration galt aber CS", sagt der Dortmunder.

Die anderen Spiele waren somit ein Ausgleich zu seinem Hauptspiel. Wohl vergleichbar mit Fußballern, die zur Abwechslung die gelbe Filzkugel beim Tennis jagen oder gemütlich beim Golf auf der grünen Wiese flanieren. Das Grün der Fußballwiese hatte zonixx aber längst mit dem staubigen Dust2 oder dem verregneten Aztec getauscht.

Keine Flucht ins Nirgendwo



Als CS-Spieler war zonixx in der virtuellen Welt unterwegs und verlieh mit seinen Händen dem digitalen Alter Ego zunehmend herausragende Fähigkeiten. Es war aber keine Flucht ins Nirgendwo, sondern der Beginn einer zur damaligen Zeit ungewöhnlichen Karriere im E-Sport.

Das Talent für Counter-Strike war sichtbar auf den Servern, auf denen zonixx zugegen war - und er verfeinerte es mit täglichem Training. Wichtig war ihm die Wettkampfpraxis mit anderen Spielern. Doch zu Beginn der 2000er waren die Voraussetzungen dafür noch mäßig: "Anfangs wurden sogar noch die IP-Adressen von den CS-Servern aufgeschrieben, und wir Spieler sind dann gemeinsam gejoint."

Amüsiert berichtet er von seinen ersten Erlebnissen im Online-Kräftemessen: "Auf Aztec kannte ich auf der T-Seite eine Stelle, von der aus man Gegner durch die Wand beschießen konnte. Ich wurde sofort vom Server gekickt, weil sie dachten, ich cheate." Skill und Spezialwissen kamen offenbar bei manchen Casual-Gamern nicht gut an.

Beeinträchtigt in der Entwicklung hat das zonixx freilich nicht. Die Vernetzung in der Szene begann unaufhörlich. Aus dem Spiel und dem Spaß heraus entstand zunehmend der ambitionierte, sportliche Charakter. "Wir wurden langsam mit unseren Clans in der Szene bekannt", sagt zonixx. Zu Anfangszeiten gab es kleine Communitys, die sich in sogenannten Gather vereinigten.

Begegnung mit cyx



Etwa 50 Leute waren in zonixx‘ Gather registriert, das er gemeinsam mit Sebastian "zorn" Weber und Christoph "divine" Mohr aufgebaut hatte. Aus diesem Spieler-Netzwerk wurden Teams für Counter-Strike gebildet, die aber stets ein wechselndes Lineup hatten. Daraus gründeten sich dann später die ersten festen CS-Clans.

Bei der Namensfindung der eigenen Clans blickt zonixx teils mit Schrecken zurück, erzählt er. Sein schelmisches Lachen schüttelt ihn bei der Erinnerung daran ordentlich durch. Dass das einmal zu ihrer Historie gehören sollte, konnten die Teenager damals nicht ahnen. Die Liste von zonixx‘ Teams ist ellenlang auf seinem ESL-Profil. Unter dem Namen "Hacker Esports Club" fing zonixx 2007 an, sich in der Szene einen Namen zu machen. Mit dabei waren unter anderem Andre "nooky" Utesch und der Österreicher Yilmaz "apathy" Seren.

Die Aufnahme zeigt Antonio 'cyx' Daniloski zu seiner Zeit bei mousesports. Foto: mousesports



Kurz vor dem Hacker Esports Club begegnete ihm auch das deutsche CS-Ausnahmetalent Antonio "cyx" Daniloski, der 2010 bei einem Autounfall tragisch aus dem Leben gerissen wurde. Der Lüdenscheider cyx wohnte bei zonixx um die Ecke. "Wir haben seit 2005 viel miteinander gespielt und oft Zeit miteinander verbracht. cyx hatte sich mit 'endeffect' hochgespielt und wurde dann von anderen Teams umworben, weil er so unglaublich gut war." Bereits ab 2007 spielte cyx erfolgreich für mousesports, das später auch für zonixx die prägendste Station werden sollte.

Doch zuvor lagen unendlich viele weitere Stunden Counter-Strike vor dem heute 30-Jährigen. Die Trainingsbedingungen in den heimischen vier Wänden im Dortmunder Plattenbau waren durchaus speziell. "Es war ein ständiger Kampf um das Internet", sagt der Nordrhein-Westfale. "Wenn ich gespielt habe und jemand ist gleichzeitig ins Internet gegangen, gab es Krieg, weil mein Ping sofort nach oben ging." Die gern genutzte Ausweichlösung hieß LAN-Spiele.

LAN mit Tapeziertisch



"Ich habe, so oft es ging, auf LAN-Events gespielt. Man konnte sich damit auch immer reinwaschen", sagt Michele. Was zonixx damit meint? Das Damoklesschwert des Cheatings schwebte online stets als Vorwurf über den außergewöhnlich begabten Spielern. In den Offline-Wettbewerben hingegen konnte jeder dem anderen über die Schulter schauen und sich selbst von den Fähigkeiten der Topspieler überzeugen.

Aufgrund der schlechten Internet-Verbindungen waren zudem heimische LAN-Partys en vogue. Bei Familie Köhler herrschte an solchen Tagen der Ausnahmezustand, wenn die Meute auf wenigen Quadratmetern ihre PCs aufbaute. Improvisationstalent war gefragt und selbst das Badezimmer wurde dann mit einem Tapeziertisch zum Gaming-Room umfunktioniert. "Meine Mutter hat dann immer erst einmal das Weite gesucht", sagt zonixx.

Bei den Köhler-LANs ging es klassisch zu: Die Energy-Drink-Dosen flogen durch den Raum, die Shisha dampfte und es gab Pizza, Chips und Cola als Nervennahrung. Natürlich wurde es laut: "Die Nachbarn konnten das ab und haben sich ein Stück weit mitgefreut, als sie unsere Entwicklung im E-Sport registriert hatten. Natürlich hat meine Mutter immer aufgepasst, dass wir es nicht zu bunt getrieben haben."

Der Ton in den Dortmunder Plattenbauten war rau – aber herzlich. "Sicher war das ein sozialer Brennpunkt", sinniert zonixx. Und wenn er zurückblickt auf diese Zeit, schwingt viel Wärme, Wohlgefühl und Dankbarkeit mit: "Meine Mutter hat alles dafür getan, dass es meinem Bruder und mir gutgeht. Teils hatte sie zwei Jobs, um uns unsere Wünsche zu erfüllen. Sie allein ist der Grund dafür, dass ich mir meinen Traum im E-Sport erfüllen konnte."

"Das Equipment war mir völlig egal"



Neben der Familie waren die Freunde der Fixpunkt in Micheles Leben. "Wir waren viel draußen, haben teils auf den Spielplätzen gelungert und haben dort sicher nicht nur sinnvolle Dinge unternommen. Da waren wir Opfer unserer Jugend", sagt er verschmitzt. Noch immer ist der Kern dieser Gemeinschaft eng verbunden, dem zonixx "blind vertraut", obwohl die Freunde mit E-Sport bis heute wenig am Hut haben.

Aufgrund seines zeitraubenden Hobbys verbrachte Michele viel Zeit in seinem Zimmer. "Wer rein wollte, stieß erst einmal mit der Tür gegen meinen Stuhl." Es war eben eng in den Zimmern der grauen Platte. Dominierend war Micheles Computertisch, daneben war der Bettkasten und eine alte Vitrine mit Utensilien aus der Pokémon-Welt, vom Fußball und diverse Medaillen und Pokale. "Die Vitrine war pompöser als der Inhalt..."

Logitech MBJ 69


Die angehenden CS-Profis starrten in den 2000ern noch auf Röhrenmonitore. Die Größe wuchs bei zonixx im Laufe der Zeit von 17 Zoll auf 19 Zoll an. Ein gutes Auge war also notwendig, um die Gegner-Pixel ins Visier nehmen zu können. Auf technische Dinge legte der E-Sport-Youngster aus dem Ruhrpott allerdings wenig Augenmerk: "Das Equipment war mir völlig egal. Ich hatte eine Logitech MBJ 69, ein simples Mauspad von Saturn für 50 Cent und eine Revoltec-Tastatur." Fünf Tastaturen dieses Typs hatte zonixx mit seinem Team bei einem Turnier gewonnen. Sie landeten alle bei ihm und sollten so lange Zeit seine Begleiter bleiben.

An der optischen Logitech-Maus war eine hohe Sensibilität eingestellt. "Ich habe anfangs sogar mit Mausbeschleunigung gespielt. Ich hatte eben null Interesse an diesen Dingen." Dem mangelnden Interesse für das Equipment stand die Perfektionierung des Gameplays in Counter-Strike gegenüber.

Mentor Christian Lenz findet richtige Worte



Trotz des großen Talents stand sich Michele Köhler anfangs selbst im Weg: "Ich wollte als Jugendlicher lieber mit meinen Freunden spielen. Es kam tatsächlich zu Situationen, in denen ich sagte: Mit dem spiele ich nicht." Freilich sind die Freunde nicht automatisch die Spieler, die zonixx an die Weltspitze führen konnten. Das musste auch Michele lernen.

Im Alter von 18 Jahren stand zonixx am Scheideweg. Von der Familie bekam er zu hören: "Mach etwas Ordentliches aus deinem Leben!" Michele selbst verspürte eine Zeit lang selbst keine große Lust mehr auf das zeitraubende kompetitive Counter-Strike. Doch immer wieder fragten ihn Freunde, ob er nicht Lust hätte, in diesem oder jenem Team mitzuspielen. Ein Nein kam ihm selten über die Lippen.

Christian Lenz ist Manager der deutschen E-Sport-Organisation BIG. Foto: BIG


Eine Schlüsselfigur zu seinem späteren erfolgreichen Weg nahm 2009 der heutige BIG-Manager Christian Lenz ein. "Ich habe Christian bei den a-Losers kennengelernt. Wir waren uns sofort sympathisch und arbeiten seitdem auch auf geschäftlicher Ebene zusammen", sagt zonixx. Manager Lenz nahm den jungen Burschen unter seine Fittiche und hatte die richtigen Ratschläge für ihn parat.

Lehrgeld hatten zu a-Losers-Zeiten dennoch beide bezahlt: "Die Szene war zu dieser Zeit sehr 'shady'. Wir wurden zu dieser Zeit um tausende Euro betrogen. Es war der Zeitgeist." Ungewisse Vertragslagen, wenig Transparenz und unkooperatives Verhalten seitens windiger Organisationen waren an der Tagesordnung. "Mir ist das in der Anfangszeit etwa fünf Mal passiert. Leider sind viele Leute mit diesem Betrug durchgekommen", schildert zonixx.

Für die Teenager, die Eltern und selbst für Anwälte war die E-Sport-Welt eine gänzlich neue. "Meine Mutter hatte meinen ersten Vertrag unterschrieben. Nachdem wir um Geld betrogen wurden, sind wir auch juristisch dagegen vorgegangen. Aber selbst für die Anwälte war es unglaublich schwer nachzuvollziehen und gegen den Betrug vorzugehen."

Im morgigen zweiten Teil des Porträts geht es um den Höhepunkt von zonixx' Karriere, den Wechsel zu Counter-Strike: Global Offensive und eine Karriere nach dem Profidasein.

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